In einem Interview mit Oliver Bäte, dem CEO der Allianz, in der FAZ vom 28.12.2017 werden u.a. die Digitalisierung und Individualisierung der Versicherungsprämien aufgrund von Big Data angesprochen. (Siehe auch den ersten Artikel zur kleinen Big-Data-Reihe in diesem Blog, zum Bericht des Deutschen Ethikrates)
Die Allianz unterscheidet nach Aussage von Herrn Bäte bei Risikofaktoren, ob diese vom Versicherungsnehmer beeinflusst werden können oder nicht. Im ersten Fall dürfen oder sollten Versicherungsprämien differenziert werden. Falls ein Merkmal nicht beeinflussbar ist, sollen Kunden dafür auch nicht „bestraft“ werden. Eine Differenzierung nach dem Rauchverhalten wäre demnach akzeptabel, eine Differenzierung nach dem Geschlecht oder einem Gendefekt nicht.
Auf dem ersten Blick ist dies ein naheliegender Ansatz und überträgt die Verantwortung für ein Risiko dem Versicherungsnehmer. Schwierig wird es jedoch auf den zweiten Blick: Was ist ein von Versicherungsnehmer beeinflussbares Verhalten? Kann man von einer Mutter mit drei Kindern verlangen, jede Woche drei Stunden Sport zu treiben? Kann man von einem (neu) Süchtigen verlangen, seiner Sucht erfolgreich zu entsagen? Kann man von einem Versicherungsnehmer mit einer sich neu entwickelten schweren Depression verlangen, innerhalb eines gewissen Zeitraumes wieder gesund zu werden? Soll ein Bergsteiger höhere Beiträge zahlen, obwohl das Risiko von Herz-/Kreislauferkrankungen im Gegenzug reduziert ist?
Wie so häufig ist die Lebensrealität komplexer als in einfachen Modellen darstellbar. Dies gilt besonders für die langen Zeiträume, für die eine Lebens- oder Krankenversicherung besteht. Solidarität und Verantwortung müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Der Ethikrat weist in seiner Stellungnahme zusätzlich darauf hin, dass zur Freiheit auch die Freiheit zur Unvernunft besteht. Die Pflicht zu gesundheitsfördernden Verhalten wird derzeit nach seiner Aussage eher abgelehnt. Dies ist allerdings sicherlich eine gesellschaftspolitische Entscheidung.
Ein Lifestyle-Tarif kann für Kunden und Versicherer positiv sein. Die Ausgestaltung muss jedoch sinnvolle Lösungen für diese Punkte anbieten.
Nebenbemerkung: Das Modell einer Unterscheidung nach beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Risikofaktoren wird auch von der Allianz umgesetzt, da es vielfach nicht beeinflussbare Risikofaktoren gibt, die derzeit von der Allianz wie von allen privaten Versicherungsunternehmen berücksichtigt werden wie Krankheiten, Behinderungen, die Berufswahl und bis vor wenigen Jahren das Geschlecht. Zu Vertragsbeginn erfolgt notwendigerweise eine Risikoprüfung. Herr Bäte spricht eigentlich über Verhaltensänderungen, die während der Vertragslaufzeit eintreten, oder von im Versicherungsvertrag fest vereinbarten positiven Verhaltensweisen sind.